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Wissenschaft und Islam

 
Nichts erscheint dem 'modernen Menschen' widersprüchlicher als das Begriffspaar Islam und Wissenschaft.Wirft man einen Blick auf die islamische Welt der Gegenwart,so steht diese in Sachen Wissenschaft und Technik zweifelsfrei hinter derwestlichen Welt. Doch wo liegen die Ursachen für dieses Debakel? Einefundierte Auskunft darüber, wie es um die Wissenschaft im Islam bestelltist, erhält man nur, wenn man die Quellen des Islam, Qur'an und Sunna,darüber befragt, welchen Standpunkt der Islam zur Wissenschaft einnimmt.Will man wissen, wie die Stellung des Islam zur Wissenschaft in der Praxisaussieht, so muß die heutige islamische Welt aus der Betrachtung ausgeschlossen werden. Aufschluß darüber kann nur die Zeit geben, in welcher der Islam tatsächliche Umsetzung als Lebensordnung fand.

Das erste Wort, das Allah (swt) Muhammad (s) offenbarte, war: "Lies". In derselben Sura ist von "Schreibschrift" die Rede, d. h.bereits die allererste offenbarte Sura spricht das Lesen und Schreibenan. Die Muslime wurden von Anfang an zum Wissenserwerb motiviert. Schonzur Zeit des Propheten (s) begann man mit der Errichtung von Schulen. Dasislamische Bildungssystem erreichte einen Standard, dem das Abendland tatsächlichum Jahrhunderte hinterherhinkte. Bereits im 9. Jahrhundert blühtenislamische Universitäten und waren auch Anziehungspunkt für diewenigen Europäer, die überhaupt das Lesen und Schreiben beherrschten.Während in Europa Bücher als Rarität in den Klösternunter Verschluß gehalten wurden, waren die islamischen Bibliothekenmit Millionen von Büchern angefüllt. Allein die Bibliothek vonCordoba hatte einen Bücherbestand von nahezu einer halben Million.

Der Islam fordert den Menschen dazu auf, seine Umwelt zu beobachten und zu studieren, um die eindeutigen Zeichen der Schöpfung darin zu erkennen. Viele Verse aus dem Koran beschreiben Vorgängeaus der Natur, die von der Schöpfung des Universums bis hin zur Befruchtung der Eizelle durch das Spermium reichen. so heißt es etwa im Qur'an:
 

"Haben die Ungläubigen nicht gesehen, daß dieHimmel und die Erde eine Einheit waren, die Wir dann zerteilten? Und Wir machten aus dem Wasser alles Lebendige." (al-Anbiya' (21), Aya:30)
 

An anderer Stelle sagt Allah (swt):

"Und Wir haben fürwahr den Menschen in seinem Ursprungaus (den Bestandteilen des) Lehms erschaffen, dann setzten Wir ihn alsbefruchtete Keimzelle an eine geschützte Stätte (die Gebärmutter). Dann erschufen Wir aus der Keimzelle ein anhaftendes Blutgebilde und erschufen aus diesem ein kleines Fleischgebilde, und hernach formten Wir in dem Gebilde Knochen und bekleideten die Knochen mit Fleisch." (al-Mu'minun, Aya: 12-14) 

Qur'anstellen dieser Art dienen nicht primär dazu,dem Menschen physikalische, biologische und andere Vorgänge zu erklären,sondern wollen in erster Linie den Beweis der Schöpfung liefern. Einigedieser Erklärungen konnten zur Zeit der Offenbarung nicht vollständigverstanden werden, da die zur Überprüfung nötigen technischenMittel nicht zur Verfügung standen. Doch waren die Muslime nicht mindervon ihrer Richtigkeit überzeugt.

Die meisten Informationen dieser Art konnten erst in diesemund dem letzten Jahrhundert wissenschaftlich erforscht werden. Eine wissenschaftlicheForschung darf allerdings nicht als Voraussetzung für den Glaubengenommen werden. Sie kann dem Menschen lediglich das Begreifen der Wahrheiterleichtern, die Allah (swt) offenbart hat. Ein zweckdienliches Hilfsmittelalso, um den Glauben zu stärken. So hat der Erhabene in Sura Fussilat(41), Aya: 53 bestimmt :
 

"Bald werden Wir sie Unsere Zeichen sehen lassen, überallauf Erden und an ihnen selbst, bis ihnen deutlich wird, daß es dieWahrheit ist. Genügt es denn nicht, daß dein Herr Zeuge istüber alle Dinge?"

Vor allem die medizinische Forschung erhielt starke Impulsedurch den Islam. So heißt es in einem Hadith: 
 

"Allah hat keine Krankheit herabkommen lassen, ohne daßEr für sie zugleich ein Heilmittel herabkommen ließ." (al-Buchari)

Auf der Grundlage dieses Hadith' wußten die Muslime,daß es für jede Krankheit auch Heilung gab, die man nur zu findenbrauchte. Infolgedessen erlebte die Medizin unter dem Islam einen unbeschreiblichenAuftrieb. Neben der hohen Medizinerzahl, vor allem zur Zeit der Abbasiden,hatte die medizinische Versorgung einen Standard, welcher mit heutigenVerhältnissen vergleichbar wäre - die technischen Mittel ausgenommen.Bereits während des Kalifats von Harun ar- Rasid (786-809) gab esmobile Kliniken und zahlreiche Krankenhäuser, die der Staat errichten ließ. Mittelpunkt der medizinischen Forschung war Bagdad mit seinen ca. 860 Krankenhäusern, deren Lage nach rein hygienischen Aspektenausgewählt wurde. Sie waren in unterschiedliche Stationen unterteiltund besaßen u.a. eine chirurgische Abteilung.

Die Entdeckungen auf dem Gebiet der Medizin lieferten der westlichen Medizinforschung die gesamten Grundlagen, mehr noch, ohnedie islamische Medizin ist die westliche gar nicht denkbar. Der Medizinerar-Razi, Leiter eines Bagdader Krankenhauses, forschte neben seiner chirurgischenArbeit auf dem Gebiet der Masern und Pocken. Seine Schrift galt bis ins18. Jahrhundert als eine der hervorragendsten Arbeiten in diesem Bereich.

Wesentliche Erkenntnisse auf dem Gebiet der Augenheilkunde macht Ali Ibn Isa um 1000 n. Chr. Ibn Sina verfaßte bereits im 11.Jahrhundert ein umfassendes medizinisches Lehrbuch, das ins Lateinischeübersetzt und hier unter dem Namen Canon medicinea bekannt ist. Wermeint, den Namen dieses Wissenschaftlers noch nie gehört zu haben,dem sollte er unter Avicenna bekannt sein. Viele Namen von Werken und Wissenschaftlern,die dem Westen Wissen lieferten, wurden so verändert, daß siedie wahre Herkunft nicht mehr verrieten. Die angeführten Beispielesind nicht einmal ein Bruchteil dessen, was die islamische Medizin tatsächlichvorzuweisen hatte. 

Die Erkenntnisse im Bereich der Astronomie waren ebenfallsbahnbrechend. Im Koran heißt es:
 

"Und Er ist es, Der die Nacht und den Tag erschuf unddie Sonne und den Mond. Sie schweben ein jedes (Gestirn) auf seiner Laufbahn." (al-Anbiya', Aya: 33)

Während das christliche Europa noch das geozentrische Weltbild vertrat, das die Erde als Weltmittelpunkt darstellt, wußten die Muslime aufgrund der Aussage im Koran, daß jeder Planet seineLaufbahn hat. Durch Beobachtung und exakte Forschung wurde die islamischeHimmelskunde für Jahrhunderte zur führenden Astronomie der Welt.Die Muslime entwickelten die verschiedensten und zudem genauesten Beobachtungs-und Meßgeräte und Sternkarten. Die Astronomie stellte einenwichtigen Bereich für die Muslime dar, da man zur Verrichtung desGebets die Himmelsrichtungen kennen mußte, vor allem zu einer Zeit,als der islamische Staat immer größer wurde. Die astronomischenErkenntnisse waren so zahlreich, daß sie sich kaum aufzählenlassen. Einer der herausragendsten Astronomen war Muhammad ibn Musa. Esist allerdings schwierig, islamische Wissenschaftler auf nur ein Wissenschaftsgebietzu beschränken, denn oftmals war ein Astronom gleichzeitig ein hervorragenderMathematiker, Mediziner usw.

Es gab keinen wissenschaftlichen Bereich, in den die Menschenunter islamischer Herrschaft nicht vordrangen. Al-Hasan Ibn al-Haitam erforschtedie Optik. Auf seinem Werk Opticea thesaurus gründet alle Optik. Erexperimentierte mit einer Art Lochkamera, dem Urmodell der Photographie. Fälschlicherweise gilt Leonardo da Vinci als Erfinder der Lochkamera, der Pumpe, der ersten Flugmaschine und der Drehbank. Seine Konstruktionen sind jedoch nachweislich vom Werk al-Hasans abhängig, der auch alsAlhazen bekannt ist und etwa fünf Jahrhunderte vor Leonardo da Vincigelebt hat.

Dieser Überblick sollte ausreichen, um das wahreVerhältnis von Islam und Wissenschaft zu verdeutlichen. Worin liegt aber die Ursache, daß die oben dargelegten Fakten nicht geläufig sind? Zu oft wird die europäische Geschichte als Maßstab für die islamische Geschichte genommen. Während der Stern der Wissenschaft unter dem Islam erstrahlte, befand sich Europa in jeder Hinsicht in tiefster Dunkelheit. Jede wissenschaftliche Betätigung wurde durch die Kirche unterdrückt. Die subjektive Erfahrung dieser Unterdrückung durch die christliche Kirche übertrug man auf alle Religionen, so auch auf den Islam, so daß man Islam und Wissenschaft in ein Kontrastverhältnis stellte. Dies reicht bis in die Gegenwart und trägt dazu bei, daß man den Islam für den derzeitigen wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Niedergang der islamischen Welt verantwortlich macht, obwohl, um es noch eimal zu verdeutlichen, der Islam dort keineswegs als Lebensordnung umgesetzt wird. Der Zustand dieser Länder hat ganz andere Ursachen,die ihre Wurzeln nicht im Islam, sondern in der Abkehr von der islamischenLebensordnung und dem vom Westen übernommenen kapitalistischen Gesellschaftssystem finden.

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