Handbuch des Engelium Matthäus 1883
Dr. Berhand Weiss; ehem. Oberconsistorialrath u. ordentl. Professor an der Universität Berlin Ursprung und Ursprache des Evangelium
Dergestalt wie das Evangelium jetzt vorliegt, kann es nicht ursprünglich aus den Händen des Apostel Matthäus ehemals Levi sein. Dafür zeugen nicht bloß die vielen unbestimmten Zeit-, Orts- u. sonstige Angaben, welche sich selbst bei einer vorwiegend auf sachlicher Ordnung abzweckenden Anlagen mit der lebendigen Erinnerung des apostolischen Augenzeugen und Teilnehmers der Ereignisse nicht vereinen lassen; nicht bloß der teilweise Mangel an Anschaulichkeit und Unmittelbarkeit, welcher in vielen Geschichtsteilen (9,9) hervortritt und nicht selten dermaßen sich fühlbar macht, dass man den Darstellungen des Mark. u. Luk. in dieser Beziehung des Vorzug einräumen muss; sondern vor allem der Mangel an geschichtlichem Zusammenhang in der An- u. Einführung eines wesentlichen Teils der Aussprüche Jesu oder ganzer Spruchreihen, von denen sich noch nachweisen lässt, dass sei ursprünglich einem anderen Zusammenhange angehörten oder in der ältesten Überlieferung selbständige Redestücke bilden. Hinzu kommt noch die Aufnahme von Erzählungen, deren Ungeschichtlichkeit ein Apostel sicher kennen musste. Durchschlagender sind die vielen, zum Teil sehr wesentlichen Berichtigungen, welche unser Matthäus aus dem vierten Evangelium annehmen muss, und von denen mehrere der Art sind, dass die bezüglichen Verschiedenheiten jedenfalls auf einer Seite die apostolische Zeugenschaft ausschließen. Hierzu kommt noch das anzunehmende Abhängigkeitsverhältnis unseres Matthäus zum Markus, welches sich mit der Abfassung des ersten durch eine Apostel nicht reimen lässt. |
Rich. E. Funcke Leipzig 1904 Die Darstellung der Entwicklungsgeschichte des Christentum innerhalb der hellenistischen Gedankenwelt ist nicht so leicht; gilt es doch, auf die mannigfachsten geistigen Strömungen gebührend Rücksicht nehmen. Die Entwicklung des Christentums ist wie jede andere geistige Bewegung nicht ohne Beeinflussung von außen, d.h. von bereits vorhandenen religiösen Geiste der Zeit und der Völker vor sich gegangen. Das Christentum kann absolut keinen Anspruch erheben auf das Prädikat „Gottesoffenbarung“; es ist eine aus dem Geistesleben der Menschheit herausgeborene Größe. Unser Volk hat ein Recht, ganz besonders auf dem vielumstrittenen religiösen Gebiet „volle Aufklärung“ zu verlangen. Männer wie Ziegler, Weinel, Soltau, Harnack, Henke, Nestle, usw. haben Schriften fürs Volk geschrieben. So schrieb Soltau seine „Geburtsgeschichte Jesu“, P.W. Schmidt ein „Leben Jesu“. Die heutige Forschung begnügt sich nicht mehr damit vorhandene Urkunden oder Schriften auf ihren religiösen und ethischen Wert hin zu prüfen; sondern sie geht in erster Linie der Quellenforschung nach und fragt darnach, wie eine Schrift entstanden ist, woher die Gedanken sind die sie enthält, ob sie original sind oder Entlehnungen aus anderen Zonen darstellen. Denn mit der endgültigen Eingebung der heiligen Schriften haben wir das Recht, dem Ursprung innerhalb der Grenzen des Menschheitslebens nachzugehen. Leider sind die Arbeiten über Quellenforschung in den einzelnen Fachzeitschriften dem interessierenden Publikum schwer zugänglich. Es war daher das Ziel des Verfassers, die Ergebnisse der Forschung zu einer möglichst umfassenden Darstellung, den Interessierten zugänglich zu machen. Wie sich die kirchliche Orthodoxie zu diesem hier gebotenen Buch verhalten wird, bleibt abzuwarten. Denn solange sie sich als den Träger des Offenbarungsglaubens betrachtet, muss ihr jeder ihrer persönlichen Gegner zugleich als ein Gegner Gottes und Jesu, also als „Antichrist“ erscheinen. Doch spricht nicht schon Ignatius der Schüler von Johannes dem Apostel, von der Schwierigkeit der Offenbarung: „Denn ich beginne jetzt ein Jünger zu sein, und ich rede zu euch als meine Mitjünger. Sollte ich euch nicht Dinge schreiben, die mehr von der Offenbarung enthalten? Allein, ich habe Furcht, es zu tun, es könne euch, da ihr Kinder (in der Lehre) seid, nur schaden. Verzeiht mir um dessentwillen, damit ihr nicht, weil ihr deren Bedeutung nicht ertragen könnet, von ihnen erstickt werden möchtet“. Hat man heute erkannt, das nicht wie anfänglichst Behauptet, Clemens von Alexandrien sei der eigentliche Begründer der christlichen Gnosis, sondern es geht ganz alleine auf den Apostel Paulus zurück. Der Zeitpunkt der Entstehung des Christentums ist nicht genau angegeben. Wenn man nach der Tradition geht, die einigermassen in den Urkunden des Neuen Testament ihren Ausdruck gefunden hat, dass zu Zeit, als Joseph ben Kajjapha das Hohepriesteramt im Tempel zu Jerusalem bekleidete (er ist unter den griechischen Namen Kaiphas im NT bekannt), dann dürfte die Bildung der ersten Christengemeinden ungefähr in die Jahe 34-60 n. Chr. fallen. Die Evangeliengeschichten enthalten eine Fülle heidnischer Gedanken und Myteh, sowie eine Menge chronologischer Fehler und Widersprüche, sodass sie als Sichere Quelle schwer zu gebrauchen sind. Von Augenzeugen besitzen wir überhaupt keine Urkunde über das Leben Jesu von Nazareth, wie es uns der 1. Brief Joh. Kap. 1 schildert: „Was wir gesehen und gehört haben, das verkünden wir euch“.
Jedoch weiß man, das es am Anfang kleine Kreise gewesen sind, die sich in Privatwohnungen zusammenfanden um den neuen Glauben zu leben. Am Anfang ihrer Bekenntnis zu Jesus Religion wurden sie Jesusjünger genannt. Christus hatte nichts Schriftliches hinterlassen, desto mehr fühlten sich die Jesusjünger hingewiesen auf den himmlischen Paraklet, den Tröster, Bestärker und Lehrer. Es gibt zu bedenken, dass wenn man behaupten würde, die Evangelien seinen von den Aposteln Jesu geschrieben worden, man sich fragen muss: Eineinhalb Jahre verbrachten z.B. Johannes und Markus bei ihrem Meister. Sie kannten ihren Meister demnach persönlich. Können dann diese Apostel nicht über dieses eine gemeinsame Jahr einen Text verfassen der von Widersprüchen frei ist, verfassen? Beiden müsste es doch möglich sein, nach ein Jahr des gemeinsamen Weges, Genaue Kenntnisse ihres Meister wiederzugeben. Wenn das EV des Lukas und der Apostelgeschichten den gleichen Verfasser hätten, wie wären dann diese Widersprüche zu erklären? Man sieht schon an Hand der zwölf Jünger in den Evangelien,
das etwas nicht stimmen kann!
Jünger bei Matthäus
Wie kam der heilige Geist in Jesus? Nach Lukas sah Jesus den „ruach jahve“ in Gestalt der Taube, nach Johannes sah der Täufer die Erscheinung, desgleichen bei Matthäus, während Markus wieder Jesus die Taube gesehen habe!
Sämtliche christliche Kirchen orthodoxer Richtung berufen sich zur Begründung ihres Dogmas von der Gottheit unter anderem auch auf die 4 Evangelien. Damit ist die wunderbare Geburt Jesu gemeint. „Empfangen vom heiligen Geiste, geboren von der Jungfrau Maria“, so das Bekenntnis der Christen. Warum wurde in Jesus, nach dieser wunderbaren Geburt, die Geistesgabe in ihm entdeckt? Seine Mutter, die das größte Ereignis erlebte, warum hat sie später nicht mehr gewusst, welche besondere Stellung ihr Sohn hat? Wie kann Joseph der Vater von Jesus sein, bei dieser heiligen Empfängnis? Und dennoch wollen die Evangelien Joseph als leiblichen Vater ausgeben. Wenn Jesus nicht von Joseph kommt, dann hat er auch keinen Stammbaum der auf David zurück geht. So mit wäre Jesus nicht vom Geschlecht David und somit auch nicht der verheißene Messias. In ihrer Auflistung der Stammbäume von Joseph kommen Widersprüche auf. Matthäus lässt zwischen Usijahu und Jotham mehrere Glieder aus, so dass es den scheint erweckt, als wäre Johtam der direkte Nachkomme des Usijahu gewesen. Im 2. Kön. 15, 7 findet man ebenfalls die Nachkommen. Weiter fährt Matthäus fort: Srubbabel zeugte Abjdu und Abjud zeugte usw. Das ist wiederum ein Irrtum. In der Chronika zählt unter I, 3 die Kinder Srubbabels auf. Zu bedenken sei noch die babylonische Gefangenschaft die im Jahre 536 endete. Es würden die zehn Glieder einen Durchschnitt haben von je 50 Jahren, ein Zeitmass, das im Blick auf die 21 Glieder von David bis Schealthiel (ein Zeitraum von 447 Jahren – gerechnet vom Jahre 1033 v.Chr. bis 586, dem Anfang der babylonischen Gefangenschaft). Denn von diesen 21 Gliedern würde jedes derselben nur eine Lebensdauer von 21 Jahren haben. Lukas geht da schon gewissenhafter vor und geht bis auf dem Stammbaum Adams zurück. Von Abraham bis David ist es die gleiche Kette wie bei Matthäus. Es werden nun aber Söhne aufgeführt die es gar nicht gab. So hatte Srubbabel gar keinen Sohn namens Reischa. Nach Chron. I 3,19.20 waren Srubbabls Kinder Mesullam, Hanajah und deren Schwester Sulamith, ferner Hasua, Ochel, Berechja, Hasadjah, Jusab-Hesed; und der Chronist setzt audrücklich noch hiner die letzte Reihe das Wort: “die fünf” – nämlich männliche Nachkommen an. Es kommen zudem die gleichen Fehler vor wie bei Matthäus. Zum Schluss sei noch gefragt, wie hieß der Vater von Joseph? Nach Matthäus heißt er Jaakob, nach Lukas heißt er Eli. Es muss die kritische Frage an die Orthodoxen gestellt werden, Wenn man davon ausgeht, dass die Heilige Schrift auf göttliche Inspiration beruhen und ihr Inhalt unantastbar ist – hatte dann Joseph nicht zwei Väter? Oder wie war das mit dem Verhältnis Maria und Joseph? War Maria seine Verlobte wie in Lukas oder war sie sein anvertrautes Weib? Ebenso die Volkszählung die erst Jahre 7-11 nach Chr. war oder Herodes der noch zur Jesus Zeit lebte, in Wirklichkeit aber schon 3 Jahre vor der Geburt Christi starb. Oder Matthäus lässt Jesus in Nilland fliehen vor dem Herodes um die Prophezeiung zu erfüllen: „aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen“. Schlägt man die Prophezeiung bei Hosea im Kapi. 11 1ff. auf, gedenkt Hosea der Vergangenheit seines Volkes, wie Jahve sein Volk gnädig geführt hat. Der Prophet gedenkt hier der Auswanderung der ersten Stämme aus dem Nillande zur Zeit des Pharao Ramses II. Man muss sich auf die Frage stellen, welche Ausmaße eine Völkerwanderung gehabt hätte, wenn jedes nach der Stadt oder dem Orte seines Geschlechtes hätte wandern müssen? So auch die Frage wozu? Der römische Prokurator hatte sich absolut nicht um die Stammeszugehörigkeit des einzelnen Juden gekümmert. Eine Volkszählung nach Geschlechtern und Stammesgliedern hätte nur die Juden interessieren können. Für die Steuereinsschreibung der Römer war diese Völkerwanderung daher ohne Belang, denn die Einschreibung fand, wenn dann schon am Wohnsitz der Menschen statt. Lukas kannte sich nicht recht mit den jüdischen Gesetzen aus. So
schreibt er im 2. Kapitel: „da die Tage ihrer Reinigung (Blutung) kamen,
ging sie in den Tempel nach Jerusalem hinauf“. Im jüdischem Gesetz
heiß es aber: „Wenn ein Weib besamet wird und gibt darauf einem Knaben
das Leben, so soll sie sieben Tage unrein sein, solange sie ihre Krankheit
leidet, um am achten Tage soll man das Fleisch der Vorhaut des Knaben beschneiden.
Und sie soll daheim bleiben dreiunddreißig Tage im Blut ihrer Reinigung.
Kein Heiliges soll sie anrühren, und zum Heiligtum soll sie nicht
kommen , bis dass die Tage ihrer Reinigung vorüber sind.“
Weiß Jesus als Kind nicht, dass er keinen Vater hat? Bei Lukas 2,27 wird Joseph als Vater angesehen und in Vers 33 oder 41, 48 auf der Suche nach dem Knaben ist immer noch die Rede, das Joseph der Vater von Jesus ist. Warum wundert sich Maria über das Jesuswort Vers 48, hat sie ihre sonderbare Geburt und Empfängnis vergessen? Wie verhält es sich in Lukas 2, 40: Und Jesus nahm zu an Weisheit, Grösse, Gnade bei Jahve und den Menschen?Das scheint total gegen den kirchlichen Trinitätsglaube zu gehen. Wie reimt es sich dann damit zusammen, dass Jahve Gnade mit ihm war? Die zweite Person der Gottheit bedarf doch nicht der Gnade der ersten Person der Gottheit? Paulus in seinen Briefen, nämlich im Römerbrief, hat Jesus
als Gottheit eine feste Forum gegeben. Er hat den Gedanken von der „göttlichen
Vorsehung“ direkt auf die Person des Christus übertragen und Jesum
als den Mann verkündet, „der ein Sohn Gottes nach dem Geist war, der
da heiligt, seit der Zeit er auferstanden ist von den Toten“. Christus
ist Gott über alles, er ist das Ebenbild Gottes. Diese paulinische
Begriffe der geistigen Persönlichkeit Jesu – nach dem Fleisch ist
ihm Jesus geboren von dem Samen Davids (Röm. 1,4) – ist eine bewusste
Anlehnung an die Denkweise der Griechen und Römer.
Wir finden bei Matthäus Kap. 1 zwei Stellen, die über die Namensgebung Jesus Auskunft geben. Vers 21: Sie wird einen Sohn gebären (hier spricht der Engel zu Joseph im Traum), dessen Name sollst du „Jhoschua“ (Jesus) = „Jahve Hilfe“ heissen, denn er wird sein Volk erretteten von seinen Sünden. In Vers 23 heißt es dann aufeinmal: Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein, und einen Sohn gebären, und sie werden seinen Namen „Immanuel“ = „Mit uns Gott“ heissen. Beide Namen bezieht der Evangelist auf ein und derselben Person. Mit dem Namen will man dem Propheten „Jesajah (7,14) gleichkomen, wo es heißt: Siehe! Eine junge Frau ist schwanger, und sie wird einen Sohn gebären, den wird sie heissen „Gott mit uns“. Die besagte Stelle deutet aber nicht auf Jesus geburt hin, sondern auf ein Ereignis zur Zeit des Propheten Jesaja mit dem König Achas (siehe Geschichte Jesaj. 7,7; 12 u. 14).
Mag es sich hier um eine Verwechslung mit dem König Tiridates handeln? Es berichtet uns Plinius, der Zeitgenosse Neros, und der um 200 n. chr. lebende griechische Schriftsteller Dio Cassius, ebenso auch Suetonius berichtet es, dass ums Jahr 66 n.chr. der parthische König Tiridates mit grossem Gefolge und mit aller Prachtentfaltung eines morgenländischen Grossen jener Zeit nach Rom zum Kaiser Nero gezogen sei, um diesem als einer Emanation des Sonnengottes „Mithras“ göttliche Verehrung darzubringen. Das Gefolge hatte seinen Weg von Osten nach Westen genommen und alle Welt sprach damals von dem pomphaften Schauspiel des Zuges, in dem sich viele Prinzen und Magier befanden.
Und so geht es bei Matthäus (27,52.53) weiter: und die Erde erbete, und die Felsen zerrissen und die Gräber taten sich auf und wurden erweckt viele Leichname entschlafener Heiliger. (Da tut sich die Frage auf, welche sind die Heiligen die Erweckt wurden. Mit dem Anbruch der Christenheit sind die Apostel die ersten Heiligen der neune Weltordnung geworden.) Und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung und kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen. Gemeint kann nur die Auferstehung von Jesu sein. Der Schreiber hat schneller geschrieben als die Ereignisse eingetreten sind. Wenn die Erweckten aus den Gräbern erst nach des Messias Auferstehung in die heilige Stadt gingen, also mindestens drei Tage später, wo wären sie denn da bis zu des Messias Auferstehung geblieben? Haben sie etwa erst auf die Auferstehung Jesu gewartet, dass soeben der Messias am Kreuze gestorben war, aber nach drei Tagen auferstehen wird? Wozu aber erschienen sie? In welcher Gestalt erschienen sie den Menschen? Was wurde danach aus ihnen? Kehrten sie später in die Gräber zurück oder fuhren sie auch gegen den Himmel? Bei einem so gewichtigem Ereignis wie das Erzählte, müsste doch noch mehr darüber zu erzählen sein, stattdessen hört die Erzählung abrupt auf, als wäre es etwas ganz Alltägliches! Ein besonders Augenmerk ist dem Hauptmann beim Ereignis des Erdbebens zu entnehmen. „Wahrhaftig! Dieser ist Gottes Sohn gewesen“ (Jahves Sohn). Bei Lukas stuft der Hauptmann Jesus als: „Dieser ist ein Gerechter Mensch gewesen!“ ab. Markus und sein Grablegung. In Markus 15,42 heißt es: „Um am Abend,
dieweil es der Rüsttag war, welcher ist der Vorsabbath“. Es war kein
Vorsabbath, am allerwenigsten ein Rüsttag, sondern bereits hoher Festtag,
nämlich der 1. Pesachtag.
Was hat das bei Markus 15,43 zu bedeuten: „Kamen Joseph von Arimathia, ein hochachtbarer Ratsherr, welcher auch auf das Königreich Gottes wartete“. Hätte so ein Zeitgenosse und Jünger Jesu geschrieben – hatte Jesus nicht ausdrücklich verkündet, dass das Reich Gottes da ist? Warum wartete dann noch der Ratsherr Joseph darauf?
Herr, wir haben uns erinnert, dass dieser Betrüger sprach, als er noch lebte: ich will nach drei Tagen auferstehen. Liest man aber bei Lukas 24,11 nach wo es heißt: das sie Jesus klare Worte als Märchen ansahen und ihnen nicht glaubten; wie sollen denn jetzt plötzlich die Pharisäer und Mitglieder des San-herin von diesen Worten wissen, die Jesus nur im engsten Jüngerkreise gesprochen hatte und die von den Jüngern nicht verstanden worden waren? Ein weiterer Widerspruch kommt mit der Bitte an den Statthalter, dass er das Grab verwahren soll „bis an den dritten Tag“.
Außerdem fällt im Augenschein nach Vers 66 des 27. Kap. Math.: „die Pharisäer gingen mit den römischen Soldaten hin zum Grabe und Versiegelten den Stein. Man bedenke, am Sabbath, der doch den Pharisäern ein heiliger Tag ist, wo man lieber einen Esel im Brunnen ersaufen liess, als Moses Gebote zu übertreten! Und noch ist zu bedenken von den „drei Tagen“! nach dem biblischen Berichten ist Jesus gar nicht erst am dritten Tage auferstanden. Denn die Zeit zwischen Tod und Auferstehung beträgt nach den biblischen Berichten genau gerechnet nur vierzig Stunden, also 1 ½ Tag und 2 Nächte! Matthäus lehnt sich an den Propheten Jonas an, der drei Tage und drei Nächte in des Walfisch Bauch war, so wird auch des Menschen Sohn drei Tage und drei Nächte mitten in der Erde sein. Die Ankunft am Grabe wird bei Matthäus 28,1 mit „beim Tagesanbruch“, bei Markus 16,1 „bei Sonnenaufgang“, bei Lukas 24,1 Sehr frühe“, und in Johannes mit „Da es noch finster war“ angegeben. Die Personen die das Grab aufsuchten bei Matth. Maria von Magdala u. die “andere” Maria, bei Markus Maria von Magdala, Maria Jakobi, Salome, bei Lukas Maria von Magdala, Maria Jakobi, Johanna und andere Weiber und bei Johannes nur Maria von Magdala. Der Grund für die Grabbesuchung wird bei Matth. 28,1 „Das Grab zu besehen“, bei Markus 16,2 „die Leiche zu salben“, bei Lukas 24,1 „Das Grab zu besehen“, und Johannes schweigt darüber. Die Beschaffenheit des Grabes bei Matth. 28,2 geschlossen; ein Engel wälzt den Stein fort; dazu ein Erdbeben. Bei Mark. 16,4 offen, der Stein ist bereits fort; dazu Erdbeben. Bei Luk. und Joh. berichten wie Markus. Beim einen sind es ein Engel, beim anderen zwei. Weitere Widersprüche am Grabe wollen wir uns sparen. Wann war die Himmelfahrt? Die Angaben, dass Jesus erst 40 Tage nach der Auferstehung „gen Himmel“ gefahren sei, findet sich zuerst in der Apostelgeschichte. Lukas und Barnabas stimmen darin überein, dass sie beide als Tag der Himmelfahrt den Auferstehungstag bezeichnen. Der Lukas der Apostelgeschichte widerspricht dem Lukas des Evangeliums; Im einer Erzählung wird Jesus in der Nacht noch nach Bethanien hinaus (24,50ff.) in der anderen wird berichtet, dass die Auffahrt vom Ölberg aus stattfand. (1,12). Um die Widersprüche nicht ins Uferlose zu treiben, wollen wir hier
Schluss machen.
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Romano Guardini
Rudolf Pesch Geb. 1936
Die einzigen Quellen für die Erkenntnis der Persönlichkeit, des Lebens und der Bedeutung Jesu sind jene Schritten, die ihn als Erlöser verkünden und unbedingten Glauben an ihn fordern, nämlich die Berichte, Briefe und Weissagungen des Neuen Testamentes. Um festzustellen, ob diese Aussagen über Jesus Glauben verdienen, müssen sie Untersucht werden, wann und unter welchen Voraussetzung die Texte entstanden sind; in welcher Weise ihr Verfasser berichtet; welche Kenntnisse sie von ihrem Gegenstand hatten, und welche Absicht sie leiteten. Auf ein Wort gebraucht: Ist Jesus Christus jener, als der er in den neutestamentlichen Schriften erscheint. Auf die Frage, welcher Weg vom historischen Jesus zum Christus des Glaubens führe, können verschiedene Antworten gegen werden. Die einen stützen sich auf das, was beim Tode Jesu und nachher in den Jüngern vor sich gegangen ist, die andere Seite kann vom religiösen Bedürfnis der jungen Gemeinde aus nachgegangen werden. Man kann fragen, mit welchem Recht der christliche Glaube in solcher Weise aus der Reihe der sonstigen religiösen Akte heraustrete? Anderseits müsste aber auch gefragt werden, inwiefern die Kategorien der Persönlichkeit, der Idee und des Mythos in Christus ihre Erfüllung findet? Die neutestamentlichen Texten mit ihren besonderen Bildern der Christuswirklichkeit haben verschiedenen literarischen Charter und sind zu verschiedener Zeit entstanden. Doch die Quelle des Christentum ist in Paulus Bekehrung zu finden. Der eigentliche Zugang muss bei Paulus gesucht werden. Paulus war der einzige Apostel, welcher den irdischen Jesus nicht persönlich gekannt hat. Erst durch Paulus werden die übrigen neutestamentlichen Texte aufgeschlossen. So muss man auch bei der Untersuchung mit seinen Briefen beginnen. Paulus ältester Brief „Thessalonicher“ geht auf 49 n.Chr. welcher in Athen geschrieben wurde zurück. Der 2. Thessalonicherbrief, der in den Kanon des NT aufgenommen wurde und dort auf den ersten folgt, gilt heute weithin als ein nicht von Paulus selbst, sondern später unter seinen Namen von einem seiner Schüler verfasstes Schreiben. Literarkritik nennt man die Methode, anhand derer nach Quellen eines Textes geforscht wird. Um eine solche methodische Frage, die an jeden Text gerichtet werden kann, beantworten zu können, hat die Literaturwissenschaft, auch die historisch-kritische Exegese, die Bibelwissenschaft, methodische Verfahren und Kriterien erarbeitet. Bei der Methode zur Exegese achtet man auf folgende Sachverhalte: Bei einem Gedicht, einem Roman, einer Erzählung oder einer wissenschaftlichen Abhandlung erwartet man, dass es sich um eine geschlossenes Ganzes handelt, das einen bestimmten Aufbau erkennen lässt und im Gedankengang durchschaubar ist. Spannungen und störende Wiederholungen können höchstens daher kommen, dass der Autor seiner Aufgabe nicht gewachsen war, oder das es sich nicht um Wahrheit handelt. Der Aufsatz eines Schülers und die korrigierten Bemerkungen seines Lehrers währen in einem fortlaufenden Text schwer auseinander zu halten. Solche ähnlichen Zusammenstellungen finden sich auch im AT sowie im NT. Bei heutigen Schriften gibt der Autor seine Quellen an. Daher lässt es sich leicht zurück verfolgen, aus welchen Schriften der Text zusammengesetzt wurde. Wo dies nicht der Fall ist, sind wir auf Beobachtungen am Text selbst angewiesen. Das Kriterium, nach dem geurteilt wird, lautet: Finden sich in einem Text keine „unvereinbaren Spannungen u. störende Wiederholungen“, so ist der Text als „Einheitlich“ anzusehen. Als ziemlich sichere Erkennungsmerkmale eines zusammengesetzten Textes gelten daher: Spannungen, die unvereinbar sind, und Dopplungen oder Wiederholungen, die störend sind. Es genügt aber nicht, Spannungen und Doppellungen in einem Text aufzulisten, um das Urteil zu fällen. Die Feststellung von Spannungen und Doppelungen ist nur eine Vorarbeit. Danach folgt die Wertung. Sind die Spannungen unvereinbar? Sind die Doppelungen störend? Solche Kriterien sind mit der Gattung, dem literarischen Vergleich, mit der Grammatik, objektive feststellbare Sachverhalte gegeben. |
von Professor Wilhelm Soltau Universität Heidelberg 1916 Die Erforschung der Quellen, auf welchen das vierte Evangelium beruht, hat gebracht, dass selbst dann, wenn der Apostel Johannes indirekt einer der Haupturheber jener Berichte sein sollte, doch nicht daran gedacht werden kann, dass hier eine originale Berichterstattung eines Augenzeugen über Jesu Leben und Lehrtätigkeit vorliege. Nun ist auf diesem Gebiet aber auch durch diejenigen, welche das Hauptverdienst an einer Feststellung der echten Quellen und der sekundären Bearbeitung haben, darin gefehlt worden, dass sie nicht genug beachtet haben, wie sehr gewichtige Gründe dafür sprechen, dass das vorliegende vierte Evangelium jetzt eine schriftstellerische Einheit darstellt, welches durch die Gleichheit des Stils, der Lebensanschauung, der Auffassung des Wesens von Christi Lehre und Person so bestimmt hervortritt, dass das Problem doppelt schwierig zu lösen erscheint, wenn man diese Einheit vernachlässigt oder geringachtet. Gerade der Hauptvertreter einer kritischen Evangelienforschung weisen auf die Einheit der Bearbeitung und er religiösen Auffassung des Christentums hin. Heinrich Holtzmann, Jülicher, Heitmüller und andere moderne wissenschaftliche Forscher, welches die Selbstzeugnisse des Verfassers und damit die Annahme verwerfen, dass ein Augezeuge der Berichterstatter des vierten Evangeliums gewesen sei. Für alle diese Gelehrten erwächst damit die neue schwierige Aufgabe, zu klären, wie der Name des Apostel „Johannes“ so schnell und so allgemein als der des Verfassers dieses Evangeliums angenommen worden sei. Der Name Johannes für den Evangelisten kommt, wie E. Schwartz gezeigt hat, erst nach 150, etwa um 170 durch „Irenaeus“ und „Epiphanius“ und andere in allgemeinen Gebrauch. Fazit: Wer die Einheit des Evangeliums annimmt, daneben aber die Autorschaft eines Apostel, seines Schriftstellers des 1. Jahrhundert verwirft, hat die schwere lösbare Aufgabe zu erfüllen und nachzuweisen, wie eine derartige „Fälschung“ so bald allgemeine Anerkennung gefunden haben könnte. Es reicht nicht die Annahme, hier Handelt es sich um eine Verwechslung des Evangelisten mit dem Presbyter Johannes, worauf dann die späteren Geschlechter weitergebaut haben. Aber der Ursprung des allgemeinen Glaubens, dass der Apostel Johannes der Verfasser des Evangelium gewesen sei, muss tiefere Ursachen haben.
1. Interpolation und kleinere Textumgestaltungen
Gegenüber solchem Hin- u. Herschwanken der kritischen Ergebnisse
ist es notwendig, in erster Linie all das festzustellen, was mit großer
Sicherheit als bloße äußerliche Interpolation zu erkennen
ist.
Es ist daher methodisch geboten, zuerst diejenigen Bestandteile des Evangeliums genau zu bestimmen, welche sich durch ihren Inhalt und ihrer Form gleichsam von selbst ausscheiden; die Einlagen von Continuators und Redestücke sowie Zusätze, welche in den erzählenden Partien des Evangeliums durch ihre gleiche Grundanschauung sich als Eigentum des letzten Bearbeiters des Stoffes; des eigentlichen Evangelisten ausweisen. Wir beginnen mit dem, was der Continuator, des Kap. 21 einlegte, hinzugetan hat, und dieses lässt sich in der Hauptsache mit genügender Sicherheit feststellen. Die Frage, ob die Erwähung des Lieblingsjüngers im Evangelium authentisch sei, ist von Schwarz, dem ich teilweise zustimme, verneint worden. Auszugehen ist bei ihrer Beantwortung davon, dass der Continuator 21, 24 nur an den Apostel Johannes gedacht haben kann und, ohne den Namen zu nennen, diesen Apostel bestimmt als den Autor des voraufgehenden Evangeliums bezeichnet hat. Es ist ferner unzweifelhaft, dass die Erwähnungen des Lieblingsjüngers 20, 2f. den gleichen Jünger bezeichnen. Die ganze Erzählung vom Wettlauf nach dem Grabe hat keinen Sinn, wenn sie nicht den Streit um den Vorrang zwischen Petrus und Johannes und die Entscheidung über diese Frage geben will. Sie ist aber klar beweisen kann, den Zustand störend, zwischen 20 ,1 und 20, 10 und zwar vom Continuator eingeschoben worden. Und letzteres gilt ebenso von der Interpolation 13, 23, 25, zu welcher sich 21, 24 als schuldiger Urheber bekennt. Im übrigen darf es nicht weiter bezweifelt werden, dass die Person des Lieblingsjüngers, mit welcher Continuators sicherlich den Johannes gemeint hat, durch ihn in das Evangelium 13, 23 (25); 20, 2f. interpoliert ist. Im Evangelium selbst deutet kein Wort darauf hin, dass Johannes sein Verfasser sei. Weder sein noch seines Bruders Name wird genannt. Keine Angabe des Evangeliums führt auf einen Augenzeugen hin; denn auch 19, 35-37 ist später in das vierte Evangelium eingesetzt. Das hat Wellhausen genug erwiesen; es waren dogmatische Gründe, welche den Verfasser veranlassten, hervorzuheben, dass Blut und Wasser aus Jesu Wunde geflossen seinen. Dazu muss noch in Betracht gezogen werden, ob Continuator auch die nachträglich eingelegte Lazaruserzählung in das Evangelium gesetzt hat. In diesem Falle müsste auch 12, 9-11 und 12, 17 später eingeschoben sein; und das ist in der Tat sehr wahrscheinlich, da nach 11, 46-57 der hohe Rat auch ohne Kenntnis der Lazaruserweckung schon Jesu Tod beschlossen hatte. In ganz eigentümlicher Weise stehen diese äußerlichen Interpolationen auch die großen Redestücke nahe, die besonders die erbauliche Seite des vierten Evangeliums verkörpern. Am sonderbarsten aber ist die Einschaltung der Hirtenparabel 10, 1-18; 25-30. Mitten in dem Wortstreit, den Jesus mit den Juden gehabt hat (9, 1-41) platzt die Bemerkung hinein (ohne Einführung des Redenden): „Wahrlich, wahrlich ich sage euch: wer nicht zur Tür hineingeht in den Schafstall, der ist ein Dieb und Mörder!“ nach Abschluß der Parabel 10, 18 beginnt der Disput Jesu mit den Juden aufs neue, ebenso 10, 31f. nach der erneuten Ausführung über die Parabel. In 3, 10-22 wird das Redestück, das das christologische Gemeindebekenntnis enthält, plötzlich abgebrochen und erst wieder 3, 31-36, nachdem die Tauftätigkeit Jesu (den Zusammenhang störend) geschildert ist, fortgesetzt. In allen diesen Fällen ist nicht die geringste Verbindung der Redestücke mit dem vorausgehenden und dem folgenden Erzählungsstoff vorhanden. Auch 5, 18 nicht; denn wenn die Juden Jesum wegen seiner Gottesgleichheit verfolgen wollen, so passt eine lange Rede, die die inkriminierte Behauptung nur noch schärfer und anstößiger wiederholt, gewiss nicht in die erzählende Darstellung hinein, wenn allerdings schon 5, 17 Ähnliches behauptet hat wie 5, 18. Dies ist wohl der einzige verunglückte Versuch, die Rede wenigstens äußerlich mit der vorausgehenden Erzählung zu verbinden. Die Redesammlung muss in den Kreisen entstanden sein, in denen Ignatius lebte, wirkte und predigte. Ihre Heimat ist Antiochia. Nicht der Evangelist selbst, wohl aber der Verfasser der Reden stand der dortigen Christengemeinde nahe. Mehrfach ist dabei das, was in Jesu Parabel auf Gott bezogen war, auf Jesu selbst übertragen. Schon in der Parabel Matth. 25, 31f. erscheint Jesu als der von Gott eingesetzte, Ihn vertretende Weltenrichter. Überall sind synoptische Motive angebracht, aber doch namentlich da verwandt, wo spätere dogmatische sich mit den ursprünglichen bildlichen Vorstellungen verbunden haben. So besonders noch bei der Durchführung des Bildes vom Brot des Lebens (6, 32f.). Hier tritt zu den Einsetzungsworten des Abendmahls Matth. 26 ,26 die paulinische Idee hinzu, dass im Brot der wahrhaftige Leib des Herrn genossen wird; als das Brot des Lebens (Joh. 6, 35) wird Jesus, der den Gläubigen das ewige Leben verleiht in die Sphäre des Supranaturalismus versetzt. Am meisten genommen wird (Joh. 5, 25f.) zur realen Wirklichkeit umgestaltet erscheint. Jesus ist es, der hier die Toten erweckt; er hat nach Joh. von Gott die Macht bekommen, das Gericht über alle Menschen zu halten. Diese Gleichsetzung der Macht des eingeborenen Sohnes mit der des Vaters beruht aber bei Johannes nicht allein auf den synoptischen Parabeln, sondern vielmehr auf den weitergehenden Ausführungen des „christologischen Gemeindebekenntnisses“, wie es dem vierten Evangelium eigen ist. So 3, 16-22 u. 3, 35-36, vor allem auf den Schlussworten: „Der Vater hat den Sohn lieb und hat ihm alles in seine Hand gegeben. Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben. In diesem christologischen Gemeindebekenntnis tritt uns die ganze Eigenart der Johanneischen Glaubenslehre entgegen. Auf ihm bauen sich die Theorien von Jesu göttlicher Eigenart auf, welches die Glaubenslehre so schroff von der synoptischen Auffassung trennen. Dieser dogmatischer Standpunkt von Redewendungen, vor allem in 1, 1-18; 3, 13-22, 31-36; 5, 19f.; 6, 32f. 12, 44-50 ist es, welcher trotz der synoptischen Herkunft der Allegorien eine tiefe Kluft zwischen ihnen und den Synoptikern hervorgerufen hat; sie macht uns klar, dass beide nicht ursprünglich einer und der selben originalen Quelle angehört haben können. Sie sind äußerlich aneinander und ineinander geschoben, nicht zu einer neuen organischen Einheit verbunden. Als Ergänzung hierzu diene noch die Beobachtung, dass Redewendungen in den meisten Abschnitten Spuren von Erweiterungen und von einer Überarbeitung an sich trägt. Im übrigen sind Themata von Redewendungen leicht erklärlich: es sind Predigten, welche bei ihren erbaulichen Zwecken Wiederholungen enthalten mussten. Aber namentlich bei den Reden in 14-17 sind nachweisbar mehrere Autoren, und zwar d r e i verschiedene Hände tätig gewesen, und Einsichtige werden leicht erkennen, dass auch 6, 32 bis 63 und 10, 1-18 durch rhetorische Einlagen überarbeitet sind. Weder Justinus noch Ignatius hatten das vollständige vierte Evangelium gekannt. Es muss also festgestellt werden, wann es entstanden ist und wann es als apostolisch anerkannt worden ist. Justinus, dem sonst manche Dinge aus der Johanneischen Begriffswelt bekannt und geläufig waren, hat nur einige Erzählungen des EV erwähnt. Ignatius dagegen weiß nichts von dem Erzählungsstoff des Joh. EV., ist aber um so mehr mit Redewendungen vertraut. Die Redewendungen beruhen auf bekannten synoptischen Parabeln und ist damit in eine Zeit zu verlegen, in der die synoptischen Evangelien bereits bekannt waren. Denn erst jetzt können wir mit einer Analyse des eigentlichen Evangeliums beginnen und sind dabei in der glücklichen Lage, für ein Drittel desselben die synoptische Herkunft nachzuweisen; von einem zweiten Drittel ist der religiöse Inhalt im wesentlichen auf Redewendungen zurückgeführt worden; das letzte Drittel besteht aus sieben Legenden, welche diesem Evangelium allein eignen und sicherlich ich ihrer Schönheit und Eigenart originale Herkunft bezeugen. Der Schreiber war kein Evangelist, und wollte kein vollständiges Lebensbild Jesu geben. Der Verfasser hatte die mehrfach und besonders feierlich zum Schuss 20, 31 ausgesprochene Absicht, durch Erzählung den Glauben an Jesu als den Messias zu erwecken, wie der Schlussvers des jetzigen Evangelium erklärt. Bei allen diesen Störungen in der chronologischen Darstellung der Schicksale Jesu hatte der Schreiber, der später das Evangelium vervollständigte, keinen leichten Stand. Oft machte er die Sache durch seine Neuordnung nur noch schlimmer (so in Kap. 5-7). Durch die Erwähnung der einzelnen Tage beim Auftreten Jesu ließ er Jesum nicht nur vom Jordan schon am 3. Tag (2, 1) nach Kana gelangen, sondern er störte sogar die ihm unbequeme Zeitordnung der früheren Tageszählung (1, 35; 1, 43). Erst jetzt, nachdem die Quellen und Vorlagen des vierten Evangeliums festgestellt sind, können wir der eigenen Tätigkeit des EV näher treten. Dabei sind vornehmlich folgende zwei Fragen zu erörtern: 1. Weshalb vervollständigte der Evangelist die erbauliche Grundschrift zu einem Gesamtbild von Jesu Wirksamkeit und Lehrtätigkeit? 2. Mit welchem Rechte konnte er sein Evangelium auf den Apostel Johannes zurückführen, das zweifellos erst nach 120 vervollständigt worden ist? Und wie konnte er Glauben dafür verlangen und erhalten, nachdem er dort viele Ideen aus Redewendungen aufgenommen hatte? Punkt zwei sei darauf zurückzuführen, das ein bekannter Christ um 100 auf den Namen des Apostel Johannes die Apokalypse nur dann schreiben konnte, wenn damals allgemein geglaubt wurde, dass dieser Apostel in Kleinasien gelebt und die Kirche Kleinasiens gegründet habe. Dadurch wird klar, weshalb der Glaube an die Autorschaft des Apostel Johannes beim vierten Evangelium aufgekommen ist und so schnell an Boden gewonnen hat, ohne dass dem Apostel vorher die Qualität eines Evangelisten zuerkannt war. Die damit gebotene Entwicklungsgeschichte, welche das Joh. EV durchlaufen
hat, zeigt manche Verwandtschaft mit derjenigen des Math. EV. Das zweite
EV wurde zuerst durch eine größere Zahl von Logia ergänzt,
dann durch die vollständige Logia zum ersten Evangelium ausgestaltet
und so zum kirchlichen Gebrauche besonders geeignet. Ähnlich ist der
Vorgang beim vierten Evangelium gewesen. Weder Ignatius noch Justinus hatten
ja ein EV des Joh. gekannt. Aber schon die folgende Generation glaubte
an ein EV des Apostel Joh., da sie es im Kampf gegen andere Lehren brauchte.
Sie nahmen den Namen, welche die Tradition ihnen darbot, um so lieber an,
weil ihr als hoch und heilig galt, was dieser Apostel der Kleinasien sie
gelehrt hatte.
Vieles spricht dafür das die Christologie Dinge umdeutete. 1. bei der Annahme der Göttlichkeit Christi verlor die Taufe durch
Johannes ihren Sinn, oder vielmehr, sie musste umgedeutet werden, dies
geschah durch die Änderung, welche der synoptische Bericht 1, 29-34
erfahren hatte.
Mehr oder weniger alle Redestücke sind von Evangelist bei der Überarbeitung von Grundschriften benutzt worden; daraus geht hervor, dass er aus religiösen, dogmatischen Motiven die Grundgedanken von Redestücken in sein Evangelium hineingetragen. Als nun das vierte EV kanonisch Anerkennung fand, fehlte es nicht an Gegnern, sogar innerhalb der kleinasiatischen Kirche. Es befremdete sie, dass vor allem im Prolog (1, 1-18), aber auch an manchen anderen Stellen, wie 1,51; 3,13-14; 5, 19 gnostische Vorstellungen Platz gegriffen hatten, auch gegen die Hypostasierung des Parakleten erhoben sich Einwände. Gegen diese häretischen Auswüchse wandte sich der 1. Joh.Brief in seiner jetzigen Form mit einem polemischen Teil (1,1-2, 11) als Einleitung. Namentlich die doketischen Auffassungen von Jesu Person schienen seinem Verfasser bedenkliche Irrlehren zu enthalten, gegen die er sich gleich in den ersten Versen des 1. Kap. wendet. Daneben erhob sich aber auch von außen her, seitens der römischen Kirche ein Widerspruch gegen die Christologie von Redewendungen. Die römische Gemeinde in deren Mitte nach Petrusberichten das Evangelium des Markus entstanden war, glaubte sich umsomehr im Besitz des wahren EV zu befinden, als auch das MatthäusEV , das auf Markus beruhte, seinen offiziellen Abschluss in Rom (Auf Rom weisen die Petrusstellen 14,28-31 usw. und die Zusätze über Pilatus hin) erhalten hatte. Jedenfalls legte man in Rom nach Einfügung der Petrusstelle 16, 17-49, die um das Jahr 120 erfolgte ist, das entschiedenste Gewicht darauf, im Besitze der petrinischen Tradition und damit des wahren, geoffenbarten Glaubens zu sein, und suchte mit ihre Hilfe die Opposition der namentlichen in Kleinasien üppig emporschießenden Sekten der Gnostiker und Montanisten niederzuschlagen. Natürlich wollten sich aber die asiatischen Gemeinden diesem Machtwort der römischen Gemeinde nicht fügen, besonders deshalb nicht, weil auch sich die Gründung der kirchlichen Ordnung auf apostolische Lehren zurückführen zu können glaubten. Die Frage, wer die größere Autorität für sich zu beanspruchen hätte, wurde beim Osterstreit akut. Rom trat für die Überlieferung der synoptischen Evangelien ein, Kleinasiaten beriefen sich demgegenüber alsbald auf ihre eigene evangelische Tradition: auf den Apostel Johannes, der nach ihrer besonderen Überlieferung (18, 28; 19, 25f.) den 14. Nisan (April) als den Todestag Jesu angegeben hatte. Beim Joh. EV kam aber, nachdem es durch Redewendungen ergänzt war, noch etwas Anderes hinzu, um seine Autorität zu heben. Nicht bloß Ephesus, sondern auch Antiochia legte jetzt Wert auf die Tradition, welche auf die Säulenapostel Acta 8,1f. und nach dem Tode des Jakobus auf Petrus und auf Johannes zurückging. |