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Zeitungsbericht: Beate wird Muslima


Die Geschichte einer deutschen Frau zwischen den Kulturen: Sie wuchs in der DDR auf, bekam im Westen ihre Kinder und wurde zur Muslimin

Manchmal erträgt sie es einfach nicht mehr, sich für Terrorakte oder Entführungen in fernen Ländern rechtfertigen zu müssen. Oder zu allen besonders nett zu sein, um zu zeigen, daß auch Muslime nette Menschen sind. Am schlimmsten ist es immer, wenn sie den Mund aufmacht. Sie spricht lupenreinen Berliner Dialekt. Jeder kann hören, daß sie keine Fremde ist: "Ich werde oft behandelt, als wäre ich eine Verräterin." Deshalb möchte sie ihren richtigen Namen auch nicht in der Zeitung lesen. Und auch kein Bild, bitte. Manchmal geht sie einfach durch die Straßen wie alle anderen Frauen auch. Dann legt sie ihr Kopftuch ab.

Beate Al Katib (Name geändert) gehört zu der wachsenden Zahl von Deutschen, die sich zum Islam bekennen. In Deutschland gibt es derzeit mehr als 14 000 deutschstämmige Muslime. Allein im Jahr 2005 sind über tausend Deutsche zum Islam übergetreten. So viele wie nie zuvor. Mehr als 60 Prozent von ihnen sind Frauen. 

Als Beate Bürger - so heißt sie damals noch - 1957 in Ostberlin zur Welt kommt, kennt noch niemand den Begriff "Clash of Civilisations." Statt dessen herrscht der Kalte Krieg und wenige Jahre nach ihrer Geburt wird eine Mauer mitten durch Berlin gebaut. Auf Beate wartet ein behütetes, aber ziemlich langweiliges Leben innerhalb der Grenzen der DDR. Dann kommt der Tag, der ihr Leben komplett umkrempeln wird. Sie ist damals 19 und besucht mit ihren Eltern das "Pressecafé" am Alexanderplatz. Am Nebentisch sitzt ein Mann mit dunklen Locken, ein Ausländer offensichtlich. Beate findet den Fremden interessant und riskiert immer mal wieder einen Blick nach drüben. Irgendwann steht er auf und stellte sich formvollendet vor. Er heißt Mohamad Al Katib (Name geändert) und erzählt, daß er aus Syrien kommt und in West-Berlin als Lackierer arbeitet. Wenige Tage später steht er mit einem Rosenstrauß vor der Tür. Danach kommt er regelmäßig, holt Beate zum spazieren gehen ab und hält schließlich um ihre Hand an. 

Beates Eltern sind sehr gegen diese Ehe. Sie wollen ihre einzige Tochter nicht an das ferne Land Syrien oder an das genauso ferne West-Berlin verlieren. Aber die junge Frau läßt sich von ihrem Entschluß nicht abbringen und stellt einen Ausreiseantrag. 1977 heiraten Beate und Mohamad Al Katib in Ost-Berlin. Wenige Monate später darf Beate nach West-Berlin ausreisen. "Das war sehr aufregend", erinnert sie sich. "Ich mit meinem Köfferchen am Grenzübergang Friedrichstraße. Meine Eltern in Tränen aufgelöst. Und in West-Berlin, einige S-Bahnstationen weiter, wartete dann mein Mann auf mich." 

Daß sie nun mit einem Moslem verheiratet ist, empfindet Beate als nicht besonders dramatisch. Sie wurde in der DDR ganz unreligiös erzogen und genaugenommen gibt es wenig spezifisch Muslimisches im Alltagsleben der Al Katibs. Viel dramatischer ist für sie, daß sie nun im Westen lebt. Das Geld, die Umgangsformen, die Waren, die Mentalität - alles ist fremd. Im Urlaub lernt Beate dann die Heimat ihres Mannes und die syrische Kultur kennen. Es gibt vieles, was ihr dort sehr gut gefällt. Beispielsweise der starke Familiensinn, der in der Familie ihres Mannes herrscht. Oder der Respekt, der älteren Menschen entgegengebracht wird. Beate erlebt dies an der von ihr sehr verehrten und inzwischen verstorbenen Schwiegermutter. Die ist eine sehr gütige Frau. Aber sie ist auch das unhinterfragte Oberhaupt der Großfamilie, und was sie sagt, gilt.

Ein Jahr nach der Hochzeit kommt das erste Kind zur Welt, der Sohn Aziz. Beate fühlt sich sehr allein. Manchmal schreit das Baby, und sie weiß nicht, warum. Keine Mutter, keine Freundin, die ihr raten könnten. Eines Tages stehen mehrere türkische Frauen vor ihrer Tür. Sie wohnen im gleichen Haus, haben Blumen, Babywäsche und Gebäck dabei und wollen Beate gratulieren. Und sie kennen sich aus mit Babys. "Ich fragte mich damals, woher kommt diese Warmherzigkeit, diese Solidarität unter Frauen", erzählt sie. Sie kann sich gut in die Situation der anderen Frauen hineinversetzen: "Ich fühlte mich ja selbst wie ein Ausländer im eigenen Land." 

Dann muß Beate wieder ins Krankenhaus. Es stellt sich heraus, daß sie sich bei der Entbindung einen schweren Infekt zugezogen hat. "Glauben Sie an Gott?" fragt sie der behandelnde Professor. Und als sie verneint, fügt er hinzu: "Das sollten Sie aber!" Denn sie ist nur knapp einer tödlichen Bauchfellvereiterung entgangen. Beate muß mehrfach operiert werden. Wohin also mit dem kleinen Aziz? Die Al Katibs beschließen, ihn zu den Großeltern nach Ost-Berlin zu bringen. Dazu brauchen sie erst mal ein ärztliches Attest, daß die Mutter im Krankenhaus liegt, dann müssen sie vom Westen aus ein Visum für das Baby beantragen. Im Osten müssen dann die Großeltern das Kind bei der Volkspolizei anmelden. So ist der offizielle bürokratische Gang. Aber manchmal ist Eile geboten, weil Beate immer wieder ganz schnell ins Krankenhaus muß. Dann sind die Grenzer zuweilen überraschend unbürokratisch. Sie kennen inzwischen den Vater, der immer wieder - in Tränen aufgelöst und ganz außer sich vor Angst um seine Frau - mit seinem Kind auf dem Arm über den Grenzübergang Bornholmer Straße möchte. Sein erstes Lebensjahr verbringt Aziz praktisch - mit kleinen Unterbrechungen - im Haushalt der Großeltern. Er wird dort geimpft, und ist generell Nutznießer der DDR-Säuglingsfürsorge. Beate darf nach Ost-Berlin, was ja nicht jedem Republikflüchtling erlaubt wurde. Wenn sie ihren Sohn zwischen zwei Krankenhausaufenthalten dort besucht, versuchen die Grenzer, sie wieder für die DDR zu gewinnen. "Die sagten dann Sachen, wie: Kommen Sie doch wieder zu uns, was wollen Sie denn im Westen? Sie finden sicher auch bei uns einen Mann." 

In dieser Zeit beginnt Beate, sich erstmalig mit religiösen Fragen auseinanderzusetzen. Ihre türkischen Nachbarinnen nehmen sie mit in die Moschee. Beate lernt deutsche Frauen kennen, die zum Islam übergetreten sind. Und sie beginnt, Bücher über den Islam zu lesen. Ihr Mann ist zunächst wenig begeistert vom religiösen Eifer seiner Frau. Er ist zwar in muslimischen Traditionen erzogen worden, hat aber damals ein eher pragmatisches Verhältnis zum Islam. Nun gibt es plötzlich keinen Rotwein mehr zum Essen und keinen Sekt mehr bei festlichen Gelegenheiten. Andererseits hat er selbst den Eindruck, als Vater, der er nun ist, müsse er auch für seine Kinder ein Vorbild sein. "Viele Frauen treten ja wegen ihres Mannes zum Islam über", sagt Beate, "bei uns war es eher so, daß er meinetwegen sich wieder stärker damit beschäftigt hat." 

1978 legt Beate Al Katib in einer Kreuzberger Moschee das islamische Glaubensbekenntnis ab und ist damit Muslimin. "Das war ein sehr bewußter Schritt." Wäre sie damals in eine christliche Kirche eingetreten, könnte sie nun in Ruhe überlegen, welchen Stellenwert die neue Religion von nun an in ihrem Alltag einnehmen soll. Aber sie wird Muslimin und ist durch ihr Kopftuch auch für jeden als solche erkennbar. Beate fühlt sich wie auf dem Präsentierteller. Wenn sie auf ihrem Lieblingsfriedhof spazieren geht, bekommt sie schon mal Bemerkungen zu hören, wie: "Nicht mal hier hat man Ruhe vor denen." Besonders schlimm wird es nach dem 11. September 2001. "Plötzlich richteten sich alle Augen auf mich", erinnert sich Beate. "Ich stand unter dauerndem Rechtfertigungsdruck. Ich hatte Schuldgefühle und fühlte mich hilflos, irgendwie, als ob ich für den Anschlag mitverantwortlich wäre." 

Nach dem 11. September, das bestätigen viele Muslime, wurde ihre Situation in Deutschland sehr viel schwieriger, als sie sowieso schon war. Während niemand auf die Idee käme, beispielsweise die katholische Kirche für die Anschläge der IRA verantwortlich zu machen, gibt es seit diesem Datum die Tendenz, den Islam generell zum Feindbild der westlichen Welt zu erklären. "Ich habe es oft schon in der U-Bahn gemerkt, daß es irgendwo wieder einen Anschlag gegeben hat, auch ohne die Nachrichten gesehen zu haben", sagt Beate Al Katib. "Allein an der Art, wie die Leute mich angeschaut haben." 

Mittlerweile haben die Al Katibs fünf Kinder. Aziz studiert Umwelttechnik an der TU. Seine vier Geschwister gehen noch zur Schule und bringen gute Noten nach Hause. Hin und wieder begleiten sie ihre Mutter zum Freitagsgebet in die Bilal-Moschee in der Weddinger Drontheimer Straße, das Zentrum des "DMK". Dieses Kürzel bedeutet "Deutschsprachiger Muslim Kreis Berlin" und steht für einen Moscheeverein, in dem vor allem Muslime deutscher Herkunft organisiert sind. Gelegentlich besucht Beate dort auch die Frauengruppe. Viele DMK-Frauen sind Akademikerinnen oder mit muslimischen Akademikern verheiratet und beschäftigen sich intensiv mit dem Koran. Beispielsweise mit der Stellung der Frau im Islam: Da müsse man genau unterscheiden, "was Tradition ist und was Islam", erklären sie selbstbewußt. "Wir deutschen Muslime sind nicht so belastet von der Tradition." Dennoch, oder vielleicht genau deswegen, tragen die meisten Kopftuch. Obwohl sie dadurch immer wieder Schwierigkeiten bekommen, etwa bei der Jobsuche. Jetzt gerade.

Man soll seine Überzeugung nicht verstecken, das findet auch Beate Al Katib. Aber manchmal hat sie einfach keine Lust mehr, sich immerzu für ihre Religion zu rechtfertigen. "Ich kann", sagt sie, "an Allah auch ohne Kopftuch glauben."

Von Ursula Trüper
Qulle: BERLINER MORGENPOST    Jan.2006

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